Das Goldene Plietsch – Förderung für neues Projekt

Das Team von „Aus den Akten auf die Bühne“ unter Leitung von Dr. Eva Schöck-Quinteros wurde im November 2021 beim Wettbewerb „Das Goldene Plietsch“ der Universität Bremen mit dem zweiten Platz ausgezeichnet. Damit verbunden ist die Förderung über 8.000 Euro für das nächste Projekt: Chile: Auf dem Weg zu einer neuen Demokratie? Dabei setzt sich das Projektteam unter anderem mit den Folgen der chilenischen Militärdiktatur (1973-1990) und des seit mehr als 100 Jahren andauernden Rohstoffhandels mit Deutschland auseinander, der auch viele Bremer Kaufleute reich gemacht hat.

Das Projektteam beim Projektpitch: Dr. Eva Schöck-Quinteros, Peter Lüchinger, Marcel Golczyk und Raul Clermont (Foto: Marianne Menke)

Chile – Auf dem Weg zu einer neuen Demokratie?

Das 18. Projekt der mehrfach ausgezeichneten Reihe unterscheidet sich von früheren Projekten, weil es das Publikum auch in die Gegenwart führt und an noch nicht abgeschlossene Prozesse teilhaben lässt. Aus den Akten wird zum „Dokumentarfilm ohne Kamera“ auf der Bühne mit zwei Schwerpunkten:

  1. Chile, der Rohstoffproduzent, ist seit über 100 Jahren mit Deutschland eng verbunden. Der Salpeterhandel hat zum Reichtum der Kaufleute in Bremen und Hamburg beigetragen (Chile Haus). Ego-Dokumente (Briefe, Berichte, Gedichte) zeigen die wenig bekannten Lebens- und Arbeitsbedingungen der „Pampinos“ in der Atacama-Wüste.
    Nach Salpeter folgen Kupfer, Lithium und Grüner Wasserstoff, über dessen Produktion die Regierungen Deutschlands und Chiles seit 2019 verhandeln. Der Abschluss erster Verträge wurde als Erfolg gefeiert. Welche dramatischen Folgen diese Produktion (ebenso wie der Abbau von Salpeter, Kupfer, Lithium) für die Umwelt Chiles und die Bevölkerung (meist für die Pueblos Originarios) haben, wird in den Medien kaum diskutiert.
  1. Die Folgen der Militärdiktatur (1973-1990) sind noch lange nicht überwunden. Die Verfassung von 1980 gilt, etwas verändert, immer noch. Dieter Blumenwitz (1939-2005), Prof. für Staats-und Völkerrecht an der Universität Würzburg, wurde für seine Beratung im Verfassungsprozess von der Junta 1985 mit dem „Orden al Mérito de Chile“ ausgezeichnet.
    Die von Schüler:innen am 18. Oktober 2019 ausgelöste soziale Revolte (Estallido social) mündete in ein Plebiszit und in Wahlen zu einem Verfassungskonvent, der seit Anfang Juli 2021 arbeitet. Es ist global die erste(!) verfassungsgebende Versammlung, die geschlechterparitätisch zusammengesetzt ist. Die Wahl einer Frau und Mapuche zur ersten Präsidentin des Konvents ist ein deutliches Zeichen, dass sich Chile auf den Weg zu einer neuen Demokratie aufgemacht hat. Wir verfolgen vor allem die Auseinandersetzungen über
  • den langen Schatten der Diktatur, zum Beispiel: Erinnerungen der Opfer, Schutz der Täter; Forderungen nach einer neuen Polizei;
  • Chile als Labor des Neoliberalismus; Freihandelsabkommen; Zerstörung der Umwelt;
  • Kolonialgeschichte; Beteiligung der Mapuches, der Pueblos Originarios: Wird Chile ein plurinationaler Staat?
  • Verfassungsentwurf muss Juni 2022 vorliegen – so der derzeitige Stand. Im Herbst 2022 wird el pueblo chileno über diesen Entwurf abstimmen.
  • Wahl von Gabriel Boric zum Präsidenten am 19.12.2021, die Arbeit der neuen Regierung und die Reaktion der Rechten, auch am Beispiel von José Antonio Kast, Sohn eines nach Chile geflüchteten Wehrmachtsoffiziers  und NSDAP-Mitglieds.

Die Premiere wird Ende September 2022 stattfinden. Ein Sammelband mit Beiträgen, zahlreichen Abbildungen und Dokumenten wird zu der Premiere erscheinen. Auch Autor:innen aus Chile und anderen Ländern Lateinamerikas werden in dem Band vertreten sein.

Aufgaben der Studierenden  in diesem Projekt sind u.a.: Quellen aus dem Verfassungskonvent und in verschiedenen Archiven recherchieren und für die szen. Lesung aufbereiten; Dokumente für den Begleitband zu der Lesung auswählen und kommentieren; Einträge für das Personenverzeichnis verfassen.

Peter Lüchinger (bsc) übernimmt die Textbearbeitung und inszeniert die Lesungen ausschließlich aus Originaldokumenten. Die Schauspielerinnen und Schauspieler der bsc bringen die Akten zum Sprechen. Historische Forschung und Vermittlung an ein breites Publikum sind in dem Projekt von gleichrangiger Bedeutung.

Eine der Herausforderungen dieses 18. Projekts ist, dass die meisten Quellen in spanischer Sprache vorliegen. Studierende sind sehr beeindruckt, wie groß das Interesse aus Chile an diesem Projekt ist. Dank Zoom lernen sie wichtige Akteur:innen kennen, zum Beispiel Amaya Álvez Marin, Professorin für Jura an der Universidad Concepción und Mitglied im Verfassungskonvent und Pedro Cayuqueo, Journalist und wichtiger Aktivist der Mapuche.

„Aus den Akten auf die Bühne“ (AdA) setzt im Zeitalter der medialen Visualisierung auf die Sprache(n) der beteiligten Akteurinnen und Akteure und ermöglicht damit unterschiedliche Perspektiven auf historische Prozesse.

Seit 2010 gibt es eine steigende Nachfrage nach Gastspielen von verschiedenen Bildungseinrichtungen (Schulen, Bundeszentrale für politische Bildung, Gedenkstätten, Museen und Archive, Bremische Vertretung bei der EU in Brüssel). Die Aufführungen werden professionell aufgezeichnet, so dass Workshops an Schulen auch mit diesem Filmmaterial und ohne die Schauspielerinnen und Schauspieler der bsc stattfinden können.

 

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