Weserkurier

 

„Nur das Beste für mein Vaterland“

Szenische Lesung über normale Frauen, ihre Dienste für den Nationalsozialismus und ihre Entnazifizierung

VON LIANE JANZ

Altstadt. Paula Brand war Kommunistin – und Schmugglerin. Als die Gestapo ihr auf die Schliche kam, sah sie nur einen Ausweg: für die Geheime Staatspolizei Leute bespitzeln. Sie ist eine von vier Frauen, deren Verwicklung in den Nationalsozialismus von Geschichtsstudenten der Universität Bremen recherchiert wurde – anhand ihrer Entnazifizierungsprozesse. Die Bremer Shakespeare Company hat die Geschichten
auf die Bühne gebracht, und zwar am Ort des Geschehens, dem Schwurgerichtssaal des Bremer Landgerichts.
Im Rahmen des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus mussten sich auch viele Bremer wegen ihrer Tätigkeiten für die NSDAP, Gestapo oder eine andere NS-Einrichtung vor Gericht verantworten. Aus dieser Menge suchten sich die Studenten ganz normale Frauen aus und wälzten im Bremer Staatsarchiv unzählige Seiten Gerichtsprotokolle. Aus den Abschriften der Studenten inszenierte die Shakespeare Company in der Reihe „Aus den Akten auf die Bühne“ die szenische Lesung „Was verstehen wir Frauen auch von Politik? Entnazifizierung ganz normaler Frauen in Bremen (1945-1952)“. Am Montag war Premiere.
Paula Brand war zum Zeitpunkt ihrer Gerichtsverhandlung 1948 36 Jahre alt. Sie wurde 1930 in den Interclub am Gröpelinger Deich eingeführt und wurde Kommunistin. Für die kommunistische Partei war sie dann auch einige Jahre lang illegal tätig. Zudem schmuggelten die Hausfrau und Mutter und ihr Mann vier Jahre lang Güter aus dem Bremer Hafen. Die Gestapo wurde auf sie aufmerksam, weil sie Kontakt zu einem Mann hatte, der unter Beobachtung stand. Im Verhör drohten ihr die Polizisten mit hohen Rückzahlungen an den Zoll, mit der Einweisung in ein Konzentrationslager und damit, dass sie ihr Kind verlieren würde. Also ließ sie sich darauf ein, als „Frau Hilker“ andere zu bespitzeln. Vor Gericht sagte sie aus, sie hätte alles als so minimal angesehen . Außerdem hätte sie der Gestapo immer nur belangloses Zeug berichtet und nie etwas, das jemandem zum Nachteil hätte ausgelegt werden können. Das Gericht stufte Paula Brand in die Gruppe der Belasteten ein und verurteilte sie zu dreieinhalb Jahren Arbeitsdienst. Ihre Zeit im Internierungslager wurde darauf vollständig angerechnet. Offenkundig handelte Paula Brand aus einer Not heraus – anders als andere Angeklagte.
Hilde Schöttger bewarb sich freiwillig bei der Gestapo, weil sie „am Staatsapparat interessiert“ war und auf gute Bezahlung hoffte. Sie machte Karriere als Büroangestellte, erst in Wesermünde, dann auf eigenen Wunsch in Berlin. Später war sie in einem Arbeitslager in Minsk für die Listen der Häftlinge zuständig. Die Häftlinge mussten nach Schilderung der Angeklagten auf dem Hof an ihr vorbeigehen und ihren Namen nennen.
Verfahren eingestellt
Sie gab bei ihrer Verhandlung auch an, dass sie sehr wohl gewusst habe, dass viele Häftlinge ins Vernichtungslager nach Auschwitz deportiert wurden. Und sie sagte aus, dass sie froh war, „im Kriege mithelfen zu können“ und nur „das Beste für mein Vaterland“ gewollt hatte. Im Gegensatz zu Paula Brand kam Schöttger straffrei davon. Während ihrer Inhaftierung bis zum Prozess war die Angeklagte auch für die Amerikaner im Schreibdienst tätig und sammelte durch Fleiß und Können Lorbeeren bei der Besatzungsmacht. Außerdem reichte ihr Vater ein Gnadengesuch ein, in dem er seiner Tochter Unwissenheit über die Machenschaften der Gestapo bescheinigte. Das Verfahren gegen Hilde Schöttker wurde eingestellt, da sie „im Sinne des Gesetzes nicht belastet“ war.
Obwohl die Schauspieler Svea-Mike Auerbach, Franziska Mencz, Petra-Janina Schultz sowie Markus Seuß und Peter Lüchinger auf theatralische Gesten und emotionale Ausbrüche verzichteten, verfehlte Lesung ihre Wirkung nicht. Der Zuhörer musste sich unwillkürlich fragen, nach welchen Maßstäben nach dem Kriege geurteilt wurde. Auf der einen Seite die, die aus Not handelte – als Belastete verurteilt – auf der anderen Seite eine freiwillige Helferin in einem Arbeitslager – Verfahren eingestellt.

Die Darsteller der Shakespeare Company wechselten zwischen den einzelnen Gerichtsverfahren die Rollen, waren mal Richter, Angeklagte, Zeugen oder öffentlicherKläger – wobei nur die Zeugen undAngeklagten emotionale Regungen erkennen ließen. Richter und Kläger traten eher kühl und distanziert auf und vermittelten dadurch einen Eindruck der Objektivität. Die allerdings spiegelte sich in den von ihnen begründeten Urteilen nicht immer wider.

Die Bremer Shakespeare Company zeigt die szenische Lesung noch einmal heute, 22. September, sowie am 4. Oktober und am 2., 15. und 22. November jeweils um 19.30 Uhr und am 9. Oktober um 11 Uhr im Landgericht an der Domsheide. Tickets gibt es für zwölf, ermäßigt sechs Euro unter Telefon 500333. Schulklassen in Begleitung zahlen vier Euro pro Person.

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