Weserkurier

 

Herrenverkehr vor Gericht

Die Bremer Shakespeare Company überprüft den „Fall Kolomak“

Holzvertäfelungen umranden die meterhohen Wände, seitlich durchflutet warmes Abendlicht den Raum. Die historische Pracht des Schwurgerichtssaals im Bremer Landgericht ist die perfekte Kulisse für eine Reise in die Vergangenheit. An diesem Ort wurde 1927 einer Bremerin der Prozess wegen sogenannter Kuppelei gemacht. Dass es sich hierbei um mehr als nur einen haarsträubenden Justiz-Irrtum handelte, zeigt die Aufführung der Bremer Shakespeare Company, die nun am historischen Ort den Fall zu neuer Anschaulichkeit befördert.
Studierende der Bremer Universität haben für diese Zeitreise eine szenische Lesung komponiert, bei der eine restriktive Sexualmoral aufgearbeitet wird. In historischen Dokumenten haben sie gewühlt, um sie den Schauspielern der Company zur Darstellung zu reichen. Ein spannendes Gerichtsdrama am Originalschauplatz ist das Ergebnis dieser Recherche. Beim „Fall Kolomak“ war die Tochter der Elisabeth Kolomak ins Gerede ihrer Nachbarschaft geraten.
Zunächst bot eine Amüsierreise der 15-Jährigen nach Berlin den Anstoß für Getuschel – später auch Freundschaften mit Männern. Schnell war von Prostitution die Rede, eine Unterstellung, für die sich die Mutter vor Gericht verantworten musste: „Wussten Sie, dass Ihre Tochter Herrenverkehr hatte?“ lautete der Vorwurf. Dass sich der Fall in der Weimarer Republik zum Skandal auswuchs, lag neben tabuisierter Sexual-Thematik auch an einem Buch, das Mutter Kolomak in tiefstem Seelenschmerz nach dem Tod ihrer Tochter (in deren Namen) verfasst hatte – als Anklageschrift gegen die Behörden. So entblättert sich in der Neuinszenierung dieser Gerichtsverhandlung das Drama einer modernen Inquisition. Denn nicht das Liebesleben der jungen Frau war ein Verbrechen, sondern deren Zwangsbehandlung mit Salvarsan, einem rabiaten Mittel gegen die Volkskrankheit Syphilis. Daran war die junge Frau gestorben.
Weitere Aufführungen im Landgericht: 7. Und 8. Juni, 19.30 Uhr; 13. Juni, 11 Uhr.

Weserkurier (3.6.2010)

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