Projekt

Gegenstand ist die Praxis der Ausweisungen in der Weimarer Republik am Beispiel der Freien Hansestadt Bremen. Grund der Ausweisung war die „Lästigkeit“ des Ausländers, der „lästige Ausländer“. Wie die Lästigkeit definiert wurde, mit welcher Begründung ein Mensch zum „lästigen Ausländer“ deklariert wurde, blieb das Geheimnis der Behörde. Diese musste, so wurde auf wiederholte Anfragen der Arbeiterparteien SPD, USPD, KPD betont, die Gründe nicht näher angeben. In einem internen Kommentar vom August 1923 wurde der routinemäßige Entscheidungsprozess wie folgt beschrieben:
„Ist die Ausweisung durch die Polizeikommission verfügt, wird von der Präsidialkanzlei der Polizeidirektion ein entsprechender Beschluß mit den zur Ausweisung erforderlichen Gründen vorgelegt, der von drei Mitgliedern der Polizeikommission des Senats unterzeichnet wird. Die Ausweisung der Ehefrau und der minderjährigen Kinder kann gleichzeitig erfolgen. Über volljährige Kinder wird von Fall zu Fall entschieden. Die Polizeikommission ist nicht verpflichtet, im Erlaß den Grund der Ausweisung anzugeben oder dem Auszuweisenden mündlich mitzuteilen. Sie kann z.B. Personen des Landes verweisen, die in einem Betrieb durch Wort und Schrift politische Agitation treiben und dadurch den Betrieb gefährden. Die Ausweisung kann auch ohne Angabe von Gründen erfolgen, wenn z.B. Personen in wilder Ehe leben und eine Trennung der beiden Personen erzielt werden soll.“(StaB 4,13/1 – A.6. Nr. 4). In der zeitgenössischen rechtswissenschaftlichen Literatur wurde die Rechtsgrundlage der Ausweisungen intensiv diskutiert. Forderungen nach einer Reform des Ausweisungsrechts hatten „größte Berechtigung“ – so der Kommentar in der Deutschen Juristen-Zeitung aus dem Jahr 1932. Der wohl schärfste Kritiker des in der Weimarer Republik praktizierten Ausweisungsrechts war der Völkerrechtler Ernst Isay. Seine prägnante Formulierung: „Im Recht der Ausweisung hat sich ein Stück Polizeistaat bis auf den heutigen Tag erhalten“ (Isay, 1923, S. 100) wird auch in der neueren Literatur übernommen. So beurteilt Gosewinkel die Stellung des Ausländers im Deutschen Reich als „Enklave des Polizeistaats inmitten des Rechtsstaates“. (Gosewinkel, 2001, S.220)

Beschwerdeakten sind eine sozialgeschichtliche und mentalitätsgeschichtliche Quelle ersten Ranges. Sie dokumentieren mit zahlreichen Selbstzeugnissen in holprigem Deutsch das Schicksal eines Individuums oder einer Familie bis zu dem Moment der Ausweisung zwischen zwei Aktendeckeln. Über das Leben „danach“ ist meist nichts bekannt Die Akten enthalten ausführliche Bittbriefe von Angehörigen, Eingaben von Vertretern der Kirchen, der Gewerkschaften und Arbeiterparteien und Schriftsätze von renommierten Anwaltskanzleien. Die Akten verraten auch, dass Ausweisungen als Instrument, sich von lästigen Personen zu befreien, in der Bevölkerung bekannt waren. So wandte sich eine „deutsche Frau“ 1924 an die „Hohen Herren des Senats“ mit der dringlichen Bitte, ihre tschechische Schwiegermutter auszuweisen.

Nur durch die in den Beschwerdeakten überlieferten Stellungnahmen des Senats, der Polizeikommission (so heißt seit 1871 die Landespolizeibehörde in Bremen) und der Polizisten aus den Distrikten werden ein oder auch mehrere Motive, wie ein Ausländer „lästig“ werden konnte, deutlich. Die Berichte der Behörde durchleuchten die Verhältnisse (im doppelten Wortsinn) der Antragsteller/innen umfassend. Ausländer und Ausländerinnen wurden als „lästig“ bezeichnet:

  • wenn sie sich an Streiks beteiligten und Mitglieder kommunistischer Parteien waren;
  • wenn sie Händler und Gewerbetreibende „ostjüdischer“, polnischer, russischer Herkunft waren;
  • wenn sie erfolgreich Eishandel betrieben;
  • wenn sie Wirtin einer gut besuchten Hafenkneipe waren und die Töchter Seeleute zum Konsum alkoholischer Getränke animierten;
  • wenn sie Kellnerinnen waren und uneheliche Kinder bekamen.;
  • wenn sie während des Krieges und in der Nachkriegszeit Straftaten wie Diebstahl oder Hehlerei begangen hatten.

Die Dauer des Aufenthalts eines Ausländers spielte in Bremen bei der Entscheidung über die Beschwerde ausdrücklich keinerlei Rolle. Nur diejenigen Ausländer hatten eine Chance, dem Vollzug der Ausweisung zu entgehen oder wenigstens einen Aufschub, eine Gnadenfrist zu erwirken, für die sich andere (katholische Geistliche, Arbeiterorganisationen, diplomatische Vertretungen des Herkunftslandes, Unternehmer, Rechtsanwälte) aus Überzeugung oder professionell einsetzten. Beschwerden von Familienangehörigen, die den Senat um eine humane Entscheidung anflehten, blieben meist erfolglos. Dies war vor allem dann der Fall, wenn Schwiegerväter für das Bleiberecht der ausländischen Ehemänner ihrer Töchter eintraten. Frauen legten weitaus seltener als Männer Beschwerde ein und hatten auch geringere Chancen auf Erfolg, da bei ihnen der Verdacht auf Prostitution und Geschlechtskrankheiten regelmäßig geäußert wurde. Die besten Chancen hatten jene Ausländer, denen von Nachbarn und den Polizisten im Distrikt eine gute Möbeleinrichtung, Fleiß und Ordnungssinn bescheinigt wurde, deren Kinder aus „wilder Ehe“ im Falle einer Ausweisung der Fürsorge zur Last gefallen wären und denen eine antikommunistische Gesinnung bestätigt wurde.

In den zahlreichen Debatten der Bürgerschaft nannte der Vorsitzende der Polizeikommission als leitende Gesichtspunkte der Ausweisungspraxis: die Notlage des Staates (Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Ernährungsschwierigkeiten) und die besondere Anziehungskraft Bremens als Hafenstadt für Ausländer. Die Aufenthaltsgenehmigung müsse sich daher auf solche Ausländer beschränken, deren Zuwanderung als erwünscht angesehen werden könne. Nach Einschätzung des Statistischen Landesamts Bremen war die Zahl der Ausländer seit jeher niedrig gewesen und hatte nach dem Kriege noch deutlich abgenommen.

Diese hier knapp beschriebenen Quellen sollen in einer szenischen Lesung zum Sprechen gebracht werden. Die Lesung wird sich allein auf die Aussagekraft und Sprache der Texte aus der Sicht der Behörden und der Betroffenen verlassen. Die bewusst gewählte Einfachheit in der Umsetzung setzt ein hohes Maß an Professionalität in der künstlerischen Bearbeitung voraus, das durch die Kooperation mit der Bremer Shakespeare Company gewährleistet ist. Die Premiere wird am 23. November 2007 im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Bremen sein. Anschließend findet eine von dem Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Prof. Matthias Stauch moderierte Diskussion statt.

Ziele des Projekts

In den aktuellen Debatten über Zuwanderung und Integration von Ausländern wird die historische Dimension des Umgangs mit Fremden weitgehend ausgeblendet, Das Projekt soll bei allen Beteiligten, den Studierenden und den Zuhörer/innen, Nachdenklichkeit hervorrufen und auf die lange, oft überhaupt nicht bekannte Tradition der Verbindung von Ausländern mit der Eigenschaft „Lästigkeit“ aufmerksam machen. Auch wenn die rechtliche Lage heute mit der in der Weimarer Republik nicht mehr vergleichbar ist, so machen diese Dokumente hoffentlich hellhörig, wie vorsichtig mit Zuschreibungen umzugehen ist und wie schnell bestimmte Eigenschaften als spezifisch Fremdes wahrgenommen und konstruiert werden. Fragen von unverminderter Aktualität werden aufgeworfen, zum Beispiel: Wie lange bleibt ein Mensch Ausländer?

Der Beitrag quellenbasierter historischer Forschung zu aktuellen Debatten wird in der gewählten Form einer szenischen Lesung für ein breites Publikum zugänglicher und greifbarer als in einem akademischen Vortrag im Gästehaus der Universität Bremen. Den Studierenden der Geschichtswissenschaft soll das Projekt die Einsicht vermitteln, wie lebendig und anschaulich Akten sein können und wie kreativ mit ihnen umgegangen werden kann.

Was ist das Besondere an dem Projekt?

Texte aus vermeintlich verstaubten Akten werden ohne ergänzende Erläuterungen, Kommentare oder Interpretationen einander gegenübergestellt und vermitteln den Blick von unten und oben, von außen und innen. Die Biographien unbekannter Menschen werden sichtbar, weil ihre Beschwerde gegen die Ausweisung sie aus einer bloßen Zahl in einen Einzelfall verwandelte. Im Zeitalter der Visualisierung verlässt sich dieses Projekt auf die Sprache, genauer auf die verschiedenen Sprachen der beteiligten Akteure: Polizei und Politik auf der einen Seite und die zu „lästigen Ausländern“ deklarierten Menschen, ihre Angehörigen, Rechtsanwälte, Vertreter von Kirchen, Gewerkschaften und Arbeiterparteien auf der anderen Seite.